von Martin Bödicker
Die Begriffe des Kulturellen (wen) und des Kämpferischen (wu) sind für die chinesische Kultur von großer Bedeutung sind. Oft wird aber der Bedeutungsinhalt von wen und wu weitläufiger verstanden und man sollte sie besser mit „das Zivile“ und „das Kriegerische“ übersetzen. Die harmonische Beziehung von wen und wu ist in der chinesischen Literatur durchaus nicht der Normalfall. Nach Rond kann man drei verschiedene Positionen identifizieren:
- Eine militärische Sichtweise, bei der hauptsächlich die kriegerische Lösung zur Austragung von Konflikten dient.
- Eine aufteilende Sichtweise, bei der das Zivile das Kriegerische kontrolliert.
- Eine verbindende Sichtweise, die das Zivile und das Kriegerische als gleichwertig zur Lösung von Konflikten ansieht und je nach Situation angewendet wird.
(vgl. Rond, S. 173)
Auch in der Schule der Strategen (bingjia), den Militärberatern des alten China, wurde das Verhältnis von wen und wu diskutiert. Dies soll im folgenden am Beispiel des Buches Wei Liaozi gezeigt werden.
Das Buch Wei Liaozi ist nach dem brillanten Strategen Wei Liao benannt und wurde zwischen dem 4. und 3. Jh. v. Chr. zur Zeit der streitenden Reiche zusammengestellt. Es bietet einen Gesellschaftsentwurf, der stark hierarchisch ist und sich auf die zwei Säulen Landwirtschaft und Militär stützt. Das Bild des Herrschers erinnert stark an konfuzianische Ideale. Er ist ein vorbildlicher Weiser, der Tugendhaftigkeit und Gerechtigkeit verkörpert und seine eigenen Leidenschaften zum Wohle des Volkes zurückdrängt. Seine Herrschaft soll dem Menschen helfen und ihn in seiner Entwicklung unterstützen. Das Volk orientiert sich an diesem Vorbild und eifert ihm nach. So entwickelt der Staat eine spezielle Form der inneren Stärke, aus der eine moralische Überlegenheit gegenüber anderen Staaten entsteht. Im militärischen Konfliktfall wird diese moralische Überlegenheit gepaart mit guter Vorbereitung und genauer Abschätzung der strategischen Verhältnisse zum Sieg über den Feind führen. Wei Liao unterscheidet drei Wege zum Sieg:
„Generell gibt es [beim Einsatz] des Militärs diejenigen, die den Sieg durch das dao davon tragen, diejenigen, die den Sieg durch Ehrfurcht davon tragen und diejenigen, die den Sieg durch Kraft davon tragen. Sorgfältige militärische Diskussionen abhalten und den Feind genau abschätzen, dafür sorgen, dass der Feind sein qi verliert und seine Kräfte sich zerstreuen, so dass selbst wenn seine Anordnung vollendet ist, er sie nicht einsetzen kann, das ist der Sieg durch das dao. Genau sein beim Recht und bei den Verordnungen, Belohnungen und Bestrafungen klar machen, Waffen und Ausrüstung verbessern, dafür zu sorgen, das die Gedanken der Leute ganz auf den Sieg ausgerichtet, das ist der Sieg durch Ehrfurcht. Armeen zerstören und Generäle erschlagen, Festungen ersteigen und Armbrüste abschießen, die Bevölkerung überrennen und Gelände einnehmen, nur zurückkommen, wenn man erfolgreich war, das ist der Sieg durch Kraft.“
(Saywer, S. 247)
Um solcher Art Siege zu erreichen, muss der militärische Bereich der Gesellschaft auf höchste Effektivität ausgerichtet sein. Eine gute Armee charakterisiert sich bei Wei Liao durch höchste Flexibilität, Disziplin und Exaktheit in der Ausführung von Schlachtplänen. Ein weiteres Ideal ist die harmonische Verbindung des Zivilen mit dem Kriegerischen im militärischen Bereich:
„Das Militärische nimmt das Kriegerische als Stamm und nimmt das Zivile als Samen [Grundlage]. Es macht das Kriegerische zu seinem Äußeren und das Zivile zu seinem Inneren. Jemand der diese zwei untersuchen und ergründen kann, wird Sieg und Niederlage kennen. Das Zivile ist das Erkennen von Vor- und Nachteil, die Unterscheidung von Sicherheit und Gefahr. Das Kriegerische hat die Bedeutung, einem starken Feind zu widerstehen, kraftvoll anzugreifen und zu verteidigen.“ (Saywer, S. 273 f)
Rond Christofer C., Chinese military thought on philosophical taoism, in Monumenta Serica 34, Monumenta Serica Institute, Los Angeles 1979
Sawyer D. Ralph, The Seven military classics of ancient China, Westview Press, Colorado 1993
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