Von Martin Bödicker
Wer einmal eine Pushhands-Vorführung eines echten Tai Chi-Meisters gesehen hat, wird dieses Ereignis noch lange vor Augen haben: Ein Schüler greift ihn mit großer Kraft an. Doch anstatt mit einer spektakulären Abwehrtechnik zu antworten, scheint er nur kurz etwas zu sinken und dann fliegt der Schüler weg, als sei er auf ein Trampolin gesprungen. Dem staunenden Publikum wird dann erklärt, dies sei die Technik „peng“.
So mancher Zuschauer fragt sich natürlich, ob dies nicht nur ein Trick sei. Die große Wirksamkeit und das gleichzeitige Nichterkennen der Funktionsweise von peng hat schon immer große Verwunderung beim Zuschauer ausgelöst. Dabei ist es gar nicht so schwierig, peng zu verstehen. Es ist nur schwierig peng auszuführen. Ma Yueliang schreibt dazu:
„Peng ist eine verborgene jin-Kraft. Sie kommt als erstes unter den dreizehn Grundbewegungen und hat eine sehr wichtige Stellung. Sie ist eine verhältnismäßig schwer zu erlernende Bewegung und wenn man beginnt Pushhands zu erlernen, wird man peng nur sehr langsam erreichen.“
(Ma, Xu, S. 9)
Doch warum ist es so schwierig, peng auszuführen? Um dies zu verstehen ist es notwendig, die Anwendung von peng in zwei Phasen aufzuteilen. In der ersten Phase wird die Kraft des Anderen in den eigenen Schwerpunkt geleitet und wie in einer gespannten Feder gesammelt. Durch diesen Vorgang ist man auch in der Lage, Richtung und Stärke der angreifenden Kraft zu erfühlen. Ma Yueliang: „Peng ist eine Reaktion auf das Maß der Kraft des Anderen. Im Pushhands ist peng nicht nur in den Händen und Armen, sondern alle Teile des Körpers, die den Anderen berühren, haben peng-Kraft. Wenn man peng-Kraft hat, dann beherrscht man: `Ist eine Bewegung schnell, dann antwortet man schnell. Ist eine Bewegung langsam, dann folgt man langsam.` Wenn man dies kann, dann ist jin-Kraft fühlen (tingjin) einfach peng.“
(Ma, Xu, S. 9)
Der Vorgang des Kraft elastisch Aufnehmens wird auch im Geheimlied der acht Methoden (Bafa mijue) beschrieben:
„Wie erklärt man die Bedeutung von peng?
Wie Wasser ein Boot trägt.
Erst das dantian mit qi füllen.
Dann muss der Kopf wie am Scheitel aufgehängt sein.
Im ganzen Körper gibt es Federkraft.
Öffnen und Schließen sind genau unterschieden.
Ganz gleich ob die Belastung tausend Pfund beträgt,
das Gleiten ist nicht schwer.“
(Wu, S. 102)
In der ersten Phase von peng wird also die angreifende Kraft im eigenen Körper gespeichert, wie in einer gespannten Feder
oder einem gespannten Bogen. Die große Schwierigkeit in dieser Phase von peng ist es, dass der eigene Körper in optimaler Weise die Kraft des Anderen aufnehmen muss. Schon ein kleinster
Fehler im Timing oder in der eigenen Körperstruktur führt zum Misslingen der Technik.
In der zweiten Phase von peng kann nun die im eigenen Körper gespeicherte Kraft auf verschiedene Art und Weise wieder abgegeben werden. Wird die Kraft in den Körper des Anderen zurückgefedert, spricht man weiterhin von peng. Ma Yueliang: „Wenn man in der Auseinandersetzung die hereinkommende Kraft mit peng kontrolliert hat, kann man die Gelegenheit ergreifen und sie gegen den Angreifer selber richten und ihn so bezwingen.“
(Ma, Xu, S. 9)
Man kann andererseits aber auch die gespeicherte Kraft z.B. mit lü in die Leere schicken und so den Anderen aus dem Gleichgewicht bringen. Man spricht in einem solchen Fall davon, dass er ein zuerst kleines peng benutzt hat, um die Kraft des Anderen zu erspüren und dann mit lü fortfährt. Ma Yueliang kommentiert:
„Die peng-Kraft ist voll, aber nicht voll. Sie ist leer, aber nicht leer. Einmal voll - einmal leer. Der Andere kennt mich nicht, ich allein kenne den Anderen. Daher bezeichnet man peng auch als verborgene jin-Kraft. Peng wird auch als jin-Kraft im Hintergrund bezeichnet. Es wird immer wieder gesagt, dass peng wie Wasser sei. Wasser kann ein herabgefallenes Blatt, aber auch ein schweres Schiff tragen. Im Pushhands gilt, ganz gleich ob die angreifende Kraft klein oder groß ist, mit peng kann man sie meistern. Aber peng ist nicht nur wie die Auftriebsbeziehung zwischen Boot und Wasser, sondern es ist auch eine feine und subtile Bewegung. Wenn ich die Kraft des Anderen empfange, benutze ich meinen stabilen Schwerpunkt (zhongding) als Drehpunkt, um die angreifende Kraft nach oben zu leiten. So lasse ich die Kraft des Anderen in der Luft hängen. Auf diese Weise kann ich mit eine kleinere Kraft als der Angreifer benutzen und erreiche: Wenn er auch tausend Pfund einsetzt, es ist nicht schwer ihn ins schwimmen zu bringen.“
(Ma, Xu, S. 9)
Die Schwierigkeit in der zweiten Phase von peng liegt darin, sich zu entscheiden, was mit der Kraft des Angreifers zu tun ist. Schließlich muss man bei peng mit großen Kräften umgehen und schon die kleinste Fehlentscheidung führt dazu, dass diese Kräfte mit ganzer Wucht auf den eigenen Körper wirken. Im Unterricht sollte peng daher erst gelehrt werden, wenn man in der Lage ist, mit großen Kräften umzugehen, ohne zuviel eigene Kraft wirken zu lassen.
Ma Yueliang, Xu Wen, Wushi Taijiquan Tuishou, Xianggang Shanghai Shuju Chuban, Hongkong 1986
Wu Gongzhao, Wujia Taijiquan, Xianggang Jianquan Taijiquanshi Chubanxiaozu, Hongkong 1981
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